11. September 2020 | Wochenfokus

Finanzmärkte im Bann tiefer Zinsen

Wie sich das aktuelle Tiefzinsumfeld in den verschiedenen Anlageklassen bemerkbar macht
Finanzmärkte im Bann tiefer Zinsen

Der Einfluss von Zinsveränderungen auf Obligationen ist allgemein bekannt. Weniger bewusst sind sich die Anleger der Zinsrisiken auf andere Anlageklassen. Auch Aktien, Immobilien und Edelmetalle reagieren in ihrer Preisbildung sehr sensibel auf ein verändertes Zinsgefüge.

Obligationen mit ihren fixen Zahlungsströmen (jährlicher Coupon und Rückzahlung auf Endverfall) reagieren sehr sensibel auf Zinsveränderungen. Sinkende Sätze lassen grundsätzlich den Kurs einer Anleihe ansteigen. Je länger die Laufzeit, desto stärker kommt dieser Effekt zum Tragen. Der umgekehrte Fall tritt bei steigenden Zinsen ein. Allerdings waren Phasen mit sinkenden Obligationenpreisen in den vergangenen Jahren deutlich weniger zu beobachten. Dafür sorgten die Notenbanken mit ihrer anhaltend expansiv ausgerichteten Geldpolitik. Mathematisch betrachtet lässt sich der zugrunde liegende Bewertungseffekt anhand der Barwertmethode erklären. Wenn die Zinsen (Diskontierungsfaktor) sinken, erhöht sich der heutige Wert von zukünftigen Couponzahlungen sowie des Rückerstattungsbetrags. Der Kurs (Barwert) der Anleihe steigt.

Das gleiche Modell kann auch für Aktien angewendet werden. Im Unterschied zu Obligationen haben sie jedoch keine fixen Zahlungsströme und keine vordefinierten Laufzeiten. An deren Stelle treten die erwarteten Dividenden ergänzt durch einen Wachstumsfaktor. Allerdings ist der Zusammenhang von Zinsentwicklung und Aktienwert nicht stabil. In einer Phase konjunktureller Abkühlung sinken normalerweise die Renditen, aber gleichzeitig auch die zukünftigen Gewinnausschüttungen der Beteiligungspapiere. Damit reduziert sich der positive Preiseffekt sinkender Zinsen oder wird gar negativ. Steigende Renditen dagegen können Vorboten einer konjunkturellen Erholung sein und in positiver Weise auf die Aktienpreise wirken. In der Praxis kommt es deshalb auf den Ursprung und die Ausprägung der Zinsbewegung an, wie stark die Aktienkurse tatsächlich betroffen sind.

Direkter wirken Zinsveränderungen auf Immobilien und Gold. Zwar sind bei Liegenschaften die Erträge ebenfalls weder fix noch auf eine bestimmte Dauer begrenzt. Aber sie sind einigermassen krisenresistent und reagieren weniger stark auf den Konjunkturverlauf. Dies gilt insbesondere für die vereinnahmten Mieten. Deshalb sind deutliche Preisveränderungen meist erst bei nachhaltig steigenden oder sinkenden Zinsen zu beobachten. Bei Gold ist der Einfluss von Zinsbewegungen anders gelagert. Als ertragsfreie Anlage (kein Coupon, keine Dividende) ist das gelbe Edelmetall immer dann attraktiv, wenn die Zinsen tief sind. Die Ausschüttungen anderer Anlageklassen wie Obligationen fällt in diesen Phasen spärlich aus, was die Opportunitätskosten für das Halten von ertragslosem Gold verringert.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für den Investor? Einerseits sind die tiefen Zinsen der letzten Jahre mitverantwortlich für die Kurszuwächse der meisten Anlagekategorien. Gleichzeitig wird die hohe Bewertung von Aktien oder Immobilien relativiert, weil sich die Diskontierungsfaktoren auf einem historisch betrachtet beispiellos tiefen Niveau befinden. Für die Zukunft kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass sich der positive Aufwertungseffekt der letzten Jahre im gleichen Stil fortsetzt. Zunehmend scheint das Ende der Fahnenstange, respektive des Zinsrückgangs, erreicht zu sein. Dieser Umstand ist nicht gleichbedeutend mit bald steigenden Zinsen. Dagegen sprechen die anhaltende Lockerungspolitik der Notenbanken, die bescheidenen Konjunkturaussichten und die tiefe Inflationserwartung. Trotzdem müssen sich die Anleger der Zinsrisiken in ihrem Depot jederzeit bewusst sein.

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