01. März 2022 | Marktberichte

Aktuelle Markteinschätzung vom 01.03.2022

Rationale Börsen oder trügerische Ruhe?
Aktuelle Markteinschätzung vom 01.03.2022

In der letzten Woche überschlugen sich die Ereignisse und aus einer vagen Befürchtung wurde eine traurige Tatsache. Mit dem Einmarsch russischer Truppen eskalierte am Donnerstag die Situation in der Ukraine und das Undenkbare, eine kriegerische Handlung direkt vor der europäischen Haustüre, erschüttert seit diesem Moment die Welt. Die Anleger reagierten zuerst verunsichert auf diese Tragödie und sorgten an den Finanzmärkten für deutliche Kursschwankungen. Gesucht waren sichere Häfen wie die Stabilitätswährungen Franken und Yen, Goldanlagen sowie erstklassige Staatsanleihen. Aufgrund der Bedeutung Russlands und der Ukraine als Exporteure von Rohwaren stiegen auch die Preise für Erdöl, Erdgas, gewisser Industriemetalle sowie verschiedener Agrargüter deutlich an. Risikoanlagen wie Aktien standen dagegen unter Druck. Vor allem Regionen und Unternehmen mit geographischer Nähe und Beziehungen zur Konfliktregion spürten eine erhöhte Anlegerskepsis. Dazu gehört vor allem Europa, welches in dieser Krise durch seine Abhängigkeit vom russischen Erdgas besonders stark exponiert ist.

Mittlerweile verhängten die westlichen Staaten umfangreiche und einschneidende Sanktionen. Eine Gratwanderung, weil einerseits die Energie-versorgung auf dem Spiel steht, andererseits mit dem russischen Präsidenten Putin ein Aggressor gegenübersteht, welcher gemäss eigenen Angaben zu allem bereit ist. Wirtschaftlich betrachtet sind die beiden Konfliktländer von geringer Bedeutung, vereinen sie doch gerade einmal 2% der globalen Wirtschaftsleistung. Es ist deshalb davon aus-zugehen, dass der konjunkturelle Erholungsprozess, welcher jüngst durch den zunehmenden Abbau von Coronamassnahmen an Dynamik gewonnen hat, nicht grundsätzlich gefährdet ist. Voraussetzung dafür ist allerdings ein rascher Abbau der Kriegsprämie auf bedeutenden Rohwaren, welche durch die jüngste Eskalation einen erheblichen Preisauftrieb erfahren haben.

Mittlerweile hat sich das Geschehen an den Finanzmärkten etwas beruhigt. Die Volatilität verharrt auf hohem Niveau und bringt die anhaltende Verunsicherung der Anleger zum Ausdruck. Die Stimmung kann in Abhängigkeit von den weiteren Ereignissen in der Ukraine rasch in die eine oder andere Richtung kippen. Erfahrungs-gemäss wirken sich politische Schocks zwar heftig 

auf das Marktgeschehen aus, ihr Einfluss ist aber meistens von kurzer Dauer. Rasch legen die Marktteilnehmer den Fokus wieder auf das Wirtschaftsgeschehen sowie im aktuellen Fall die weitere Entwicklung der Geldpolitik. Vor der Eskalation in der Ukraine galt es als ausgemacht, dass die Notenbanken die geldpolitische Wende nun herbeiführen werden. Daran glauben die Anleger immer noch, allerdings wird über eine zurückhaltende Gangart spekuliert. Die Noten-banken befinden sich nämlich in einer schwierigen Zwickmühle. Mit dem erneuten Preisanstieg an den Rohwarenmärkten wird die Inflation, zu deren Bekämpfung sie angetreten sind, noch einmal befeuert. Dieser Umstand würde eigentlich nach einer restriktiveren Gangart verlangen. Gleichzeitig könnten die stark gestiegenen Energiepreise die Stimmung bei den Wirtschaftsakteuren sowie an den Finanzmärkten vorübergehend dämpfen. Eine abnehmende geldpolitische Unterstützung würde zusätzlich belastend wirken. Insbesondere weil eine restriktivere Geldpolitik den durch die Krise hervorgerufenen Angebotsschock nicht lindern kann. Entsprechend würde das Stagflationsrisiko steigen. Wie sollen die Zinshüter diesen Balanceakt meistern? Auf diese Frage erwarten wir schon bald eine Antwort, spätestens wenn das Federal Reserve in den USA Anfang März zu ihrer nächsten ordentlichen Sitzung zusammenkommt.

Wie sollen sich die Anleger am besten auf die aktuelle Marktsituation einstellen? Unseres Erachtens wäre es falsch, sich momentan für ein bestimmtes Szenario zu positionieren. Das Motto muss sein, das eine tun und das andere nicht lassen. Entspricht die aktuelle Anlagestrategie dem eigenen Risikobudget, besteht kein Handlungsbedarf. Wer noch Spielraum hat, kann schwächere Tage für Zukäufe von risikoreicheren Anlagen wie zum Beispiel Aktien nutzen. Wer seine Risikobereitschaft in der Vergangenheit überschätzt hat, sollte nun sein Portfolio defensiver ausrichten. Erstklassige Anleihen, indirekte Immobilienanlagen sowie die Beimischung eines Goldanteils können dazu beitragen. Eine breite Länder- und Sektor-diversifikation schützt zudem das Portfolio vor unerwünschten Klumpenrisiken. Gerade im vorliegenden Fall eines exogenen Schocks können sich solche Konzentrationen rasch stark negativ auswirken.

Aarau, 01.03.2022